Die Mädchen sind wieder da

Von Redaktion · · 2013/12

Südkorea verzeichnete als erstes Land überproportional viele männliche Geburten – und ergriff auch als erstes Land rasch Gegenmaßnahmen.

Oh-Han Suk-hee, Frauenforscherin in Südkorea, erinnert sich noch an die Säckchen mit den traditionellen Mitteln, die einer Frau angeblich dazu verhalfen, einen Sohn zu bekommen oder ein Mädchen abzutreiben. Vor nicht allzu langer Zeit konnte man sie überall bekommen. Aber das hat sich alles geändert, erzählt die 53-Jährige der Journalistin Sung So-Young von der Korea JoongAng Daily: „Heute wird eine Mutter von zwei Töchtern von jeder Frau beneidet.“

Eine alles andere als selbstverständliche Entwicklung. 1990 verzeichnete Südkorea bei Neugeborenen das am stärksten verzerrte Geschlechterverhältnis weltweit – 116 Buben auf 100 Mädchen. 1992 lag das Verhältnis bei 117:100. Aber dann kam es zu einer drastischen Trendwende: 2000 waren es nur mehr 109 Buben auf 100 Mädchen, und 2007 war das Verhältnis fast wieder normal (105:100, Anm. d. Red.).

Wie konnte das bewerkstelligt werden? Nun, als erstes wurde offiziell anerkannt, dass dem Land eine demographische Krise drohte. Dem folgten Maßnahmen, um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Eine Werbekampagne im Fernsehen etwa fokussierte auf eine Klasse von 10- bis 14-jährigen Buben und betonte, wie viele von ihnen später keine Frau finden würden. Auch wurden die Gesetze verschärft. ÄrztInnen und andere medizinische Fachleute, die Eltern nachweislich geholfen hatten, das Geschlecht ihres Kindes zu wählen, wurden streng bestraft.

Aber auch die Gesellschaft insgesamt war im Wandel begriffen. Industrialisierung und Urbanisierung hatten die in den ländlichen Regionen dominierende konfuzianische Tradition einschließlich der patrilinearen Erbfolge geschwächt, die es unbedingt erforderlich machte, einen Sohn zu haben. Immer mehr Frauen arbeiteten in der Industrie, ihre Kaufkraft nahm zu, und die Schulbildung der Mädchen verbesserte sich deutlich.

Eine Reihe von Maßnahmen richtete sich gegen Sexismus am Arbeitsplatz und im Privatleben, darunter Gesetze zur Gleichstellung am Arbeitsplatz (inklusive Förderung der Frauenbeschäftigung) und zur sexuellen Gewalt. Das patriarchale Familienoberhauptsystem wurde 2005 endgültig abgeschafft.

Zwischen 1963 und 1990 stieg die Zahl der erwerbstätigen Frauen in Südkorea um das 14-Fache. Dass die durchschnittliche Kinderzahl in Südkorea von 1960 bis 1990 drastisch sank (von 6,6 auf 1,6), scheint dabei eine Doppelrolle gespielt zu haben. Anfangs begünstigte die Entwicklung den männlichen Nachwuchs, dann erleichterte sie eine rasche Rückkehr zur Ausgewogenheit.

Der steigende Lebensstandard und die zunehmende soziale Sicherheit waren allerdings wichtige Faktoren. „Die Leute erwarten heute nicht, dass sie im Alter von ihren Kindern durchgefüttert werden“, meint Oh-Han. „Was sie von ihren Kindern wollen, ist keine Schüssel Reis, sondern liebevolle Betreuung.“

Daraus entwickelt sich derzeit eine Präferenz für Mädchen. Ratschläge, wie eine Frau ein Mädchen bekommen kann, stehen auf Social Media Websites hoch im Kurs. „Ich habe alle meine Freundinnen gefragt, die Mädchen haben“, sagt etwa Lee Eun-jeong, die bereits einen 16 Monate alten Sohn hat. „Alle haben gesagt, sie hätten sich am frühen Morgen geliebt.“

Lässt sich das südkoreanische Modell nach China oder Indien exportieren? Demographen bezweifeln das. Sie verweisen auf spezifische Faktoren wie die Größe und die Organisiertheit des Landes, die eine rasche Rückkehr zur Normalität erleichtert hätten.

Dessen ungeachtet scheint sich aber Taiwan auf den Spuren Südkoreas zu befinden. Noch 2003 rangierte das Land im Hinblick auf die Verzerrung des Geschlechterverhältnisses bei Neugeborenen auf dem dritten Platz weltweit; 2012 aber nur mehr auf Platz 15. Das wurde durch ein Verbot medizinisch unnötiger Geschlechterselektion und durch Gesetze zur Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter bewirkt. Es besteht eine Kooperation zwischen Gesundheitsbehörden und Krankenhäusern, und in Erhebungen geben 89% der frisch gebackenen Mütter an, das Verbot der Geschlechtsdiagnose zu unterstützen.

© New Internationalist

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